Neugierig auf das Neue
Nach Kaffeplausch und vor dem Gans essen
Komponistenbegegnung zum Jahresausklang
„Es ist jedes Mal ein Schock, in einem Raum das eigene Stück erstmals zu hören“
Bekenntnis von Lars Werdenberg, 29 Jahre alt, Komponist aus Basel. Den Schock erlebte er am 21. November 2008 im Dianasaal von Schloss Engers gleich drei Mal. Bei einem Konzert in der Reihe „Spektrum Villa Musica“ - gefördert vom Netzwerk Neue Musik, einem Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes - wurden nämlich drei seiner Werke uraufgeführt. 70 FREUNDE der Villa Musica hatten keine Angst vor neuen Tönen und hörten gespannt die Stücke: „5 Notturni con Intermezzi“ für Violine und Schlagzeug, „Mechanische Landschaft“ für Violine solo und „Tschambocker“ für Violine und Schlagzeug.
Zuvor hatte ihnen Lars Werdenberg im Gespräch mit Dr. Karl Böhmer von sich erzählt und erwähnt, es sei ein großes Glück, dass er sogar schon ein 15-minütiges Orchesterwerk von sich gehört habe - dank eines Kompositionsauftrages des SWR. Er berichtete, wie wichtig es sei, dass sich in Deutschland der Rundfunk so stark für die Neue Musik engagiere. In der Schweiz sei das überhaupt nicht der Fall. Dr. Böhmer ergänzte: „Franz Schubert hat seine beiden größten Sinfonien nie zu hören bekommen – die eine (die Unvollendete) lag bei Josef Kupelwieser Jahrzehnte lang in der Schublade, die andere (die große C-Dur) wurde vom Orchester als unspielbar abgelehnt.“
Für unspielbar hätten die Konzertbesucher eher die Neue Musik gehalten. Aber Helena Winkelman bewältigte die hohen Lagen und die irrwitzig schnellen Tonrepetitionen auf der Geige scheinbar mühelos. Und der Schlagzeuger Matthias Würsch spielte die kompliziertesten rhythmischen Strukturen, als seien sie wohl bekanntes Material.
Wie ist Lars Werdenberg zum Komponieren gekommen? Das interessierte auch die Schüler des Bertha von Suttner-Gymnasiums aus Andernach, die mit ihrem Lehrer Roland Arndt zu Konzert und Gespräch gekommen waren. Lars Werdenberg erzählt: Mit sechs Jahren habe er Klavierunterricht bekommen und das Noten lesen gelernt; das Komponieren sei ganz selbstverständlich damit einher gegangen. „Ich dachte, das sei normal.“ Erst Jahre später habe er Kontakt mit Leuten in seinem Alter bekommen und gemerkt, dass man auch n u r Klavier spielen kann, ohne zu Komponieren.
Frage aus dem Publikum: Dann müsse er doch in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen sein. Die Antwort: Nein, überhaupt nicht. Musik sei seinem Vater nicht wichtig gewesen, seine Mutter habe ihn wenigstens nach seinen Kompositionen gefragt. Beide Eltern hätten ihn aber unterstützt. Ein Großonkel war sein erster Klavierlehrer. Mit 14 hatte Lars Werdenberg bereits einen Lehrer, mit dem er seine zum Klavierunterricht mitgebrachten Stücke besprechen konnte: Rudolf Kelterborn. Dann studierte er Komposition an der Musikakademie Basel bei Kelterborn und Detlef Müller-Siemens.
Was kommt beim Komponisten Werdenberg zuerst? Die abstrakte Vorstellung von der Musik oder der Klang eines Instrumentes, fragte Karl Böhmer. Antwort: „Ich wünschte mir, ich hätte eine Maschine im Kopf, die das, was ich erdacht habe, gleich in Noten setzt und ausdruckt.“ Stattdessen sei es eine mühevolle Arbeit, die innere Klangvorstellung so zu Papier zu bringen, dass die Musiker genau wissen, welcher Klang gemeint ist – und dann auch noch das Notenmaterial so herzustellen, dass es spielbar sei.
Zum Kompositionsvorgang: Er höre zunächst Instrumente, Klangflächen verbunden mit einem Instrument; anfangs schummrig, dann immer konkreter, Flächen, Linien, Treppen, Skalen – das schreibe er dann auf. Wenn eine Grundlage da ist, kommen ihm die Ideen in der Straßenbahn, beim Zahnarzt. Aber anfangs brauche er Ruhe. Die hat Lars Werdenberg derzeit im Herrenhaus Edenkoben in der Pfalz, wo er bei Prof. Konrad Stahl ein halbjähriges Stipendium bekam. Er wohnt auf dem Areal zusammen mit einer Schriftstellerin und einem Bildenden Künstler. Die Gespräche mit ihnen seien für ihn sehr gut. Es gebe dieselben Probleme, ein Werk anzufangen, es gebe dieselben Ängste. In der Großstadt Basel habe er noch nie zu Literaten und Malern so engen Kontakt gehabt.
Von seinen Kompositionen leben kann Lars Werdenberg nicht. Das Orchesterwerk für den SWR, an dem er eineinhalb Jahre gearbeitet hatte, brachte ihm 7000 Euro. So verdient er seinen Lebensunterhalt mit Klavierunterricht. Aber dass die Neue Musik beim Publikum nicht geschätzt sei, das empfinde er nicht. Da wo er hingeht, nach Donaueschingen oder zu „Wien modern“, da gebe es Menschen, die sich interessieren. Und Aufträge gebe es auch genug; von der Gesellschaft für Neue Musik in Basel, vom Opernstudio Zürich, von Einzelpersonen, von Ensembles.
Warum er nicht Filmmusik schreibe, denn eines seiner Stücke habe sich angehört wie gemacht für einen Horrorfilm, fragt ein Zuhörer aus dem Publikum. Mit den Produktionsbedingungen, mit der geforderten Schnelligkeit würde er nicht zurecht kommen, sagt Lars Werdenberg.
Hat er etwas in der Schublade, das noch nicht aufgeführt wurde? Ja, ein Stück für acht Soprane und acht Schlagzeuger. Wenn er genügend Schlagzeuger beisammen habe, werde er es aufführen. Ob er denn schon genug Sopranistinnen kenne, fragt jemand. Ja, die habe er schon beisammen.
„Für welches Instrument würden Sie nicht komponieren?“ – „Für Mundharmonika.“
Um 15.30 Uhr hatte das Treffen der FREUNDE mit einem Kaffeplausch im Schlosskeller begonnen. Vor dem Konzert gab es Sekt im Foyer und nach dem Konzert wurde angeregt über das Gehörte gesprochen. Die Veranstaltung hat wieder einmal eingelöst, was den Mitgliedern des Vereins versprochen ist: mit den FREUNDEN der Villa Musica sind Sie ganz nah an der Musik und an den Musikern. Und die Veranstaltung hat gezeigt: FREUNDE der Villa Musica sind nicht nur Genießer des Gewohnten sondern auch interessiert an Entwicklungen in der Musik und neugierig auf Neues